„Horch, dou brauchst fai net flieng!“ – hieß es 1964 beim ersten betreten des „Fluggeländes“ Ottenberg, da das Gelände damals einer Felslandschaft ähnelte. Durch harte Arbeit wurde in nur zwei Jahren das Segelfluggelände Ottenberg errichtet. Seit 56 Jahren übt der Verein den Flugsport hier oben aus. Viele Mitglieder haben ihren Segelflugschein hier erworben und sind somit auch hier alleine geflogen. Am 31.07.2020 war es für mich soweit. Ich sitze alleine in einer ASK13 und fliege drei Platzrunden, wie so oft zuvor.
Es sind Sommerferien…genauer gesagt Flugwochen. Der Verein versammelt sich in den ersten beiden Ferienwochen, um 14 Tage lang ununterbrochen den Flugsport auszuüben und Spaß zu haben. Es ist ein ganz normaler sommerlicher Freitagmorgen. Ich bin sowieso erstaunt, wie dünn besetzt die Mannschaft in dieser Woche ist. Wir sind ganze sechs Mann, die Mindestbesetzung für einen „Flugbetrieb“. Ein Seilfahrer, ein Windenfahrer, ein Flugleiter, zwei Fluglehrer und ich, der Flugschüler, welcher heute anscheinend Privatstunden erhält, da kein anderer Flugschüler anwesend ist. Nach dem Ausräumen und dem Checken des Schulungsflugzeuges versammeln sich alle zum gemeinsamen Briefing. Aber davor hole ich noch die Fahrzeuge, die für den Flugbetrieb notwendig sind aus der Garage: Den Bulli, den Seilwagen und den Startwagen. Nach dem Briefing werden die Flieger mit dem Bulli zum Startpunkt gezogen: Ein Mann an jede Flächenspitze und ein Diesel im Standgas – mehr braucht man nicht. Kaum steht der Flieger am Abflugpunkt, steige ich schon ein und beginne mich anzuschnallen. Nachdem sich mein Lehrer angeschnallt hat, fange ich mit dem Startcheck an: Ich überprüfe, ob die Beladung passt, ob die Funkfrequenz richtig eingestellt ist und was wir im Falle eines Seilrisses oder Startabbruches machen. So, Check fertig – jetzt läuft alles wie immer – ein Lehrer sitzt hinter mir und der erste von vier Checkflügen kann beginnen. Nach zwei erfolgreichen Platzrunden und einer Seilrissübung werden die Lehrer getauscht. Aha, der Kontrollflug vom zweiten Lehrer. Ich habe schon eine Ahnung, was mir bevorsteht. Der vierte und letzte Checkflug mit Lehrer tritt gerade an. Der Flug läuft normal und ohne Einwände vom Lehrer ab, woraufhin sich der Lehrer nach der Landung abschnallt und sagt: „So, jetzt trinkst du nochmal einen Schluck und machst das noch drei weitere male…ohne mich…“.
Nun gut, ich sitze im leeren Flugzeug und habe die volle Kontrolle über dessen Verhalten. Es geht los! Das Seil spannt und zieht an, ich verriegele die Bremsklappen. Es wird schneller und die ASK13 bäumt sich aufgrund der niedrigen Zuladung schnell auf. Es steigt und steigt – ich blicke immer wieder auf den Höhenmesser. Bei 150 Metern Höhe fühle ich mich sicher. Wenn jetzt das Seil reißt, interessiert mich das nicht mehr allzu sehr, da ich es bequem zum Platz zurück schaffen würde. Aber das Seil hält, die Winde zieht weiter…Es geht ein lauter „klack“ durch die Kabine – das Seil ist ausgeklinkt. Die Winde zieht mich auf sparsame 220 Meter. Nun bin ich auf mich allein gestellt. Ich überlege kurz, was eigentlich gerade passiert. Ich drehe rechts in den Querabflug und merke, dass ich gerade mit 15 Jahren legal ein Flugzeug steuere und habe noch nicht mal einen Führerschein. Dabei muss ich kurz schmunzeln. Nächste Kurve, ich zögere nicht lange und drehe eine weitere Rechtskurve. Dabei merke ich den Westwind ein wenig, welcher mich zum Flugplatz zurückzutreiben versucht. Ich korrigiere die Flugzeugnase in den Wind und führe meinen Flug fort. Ich beachte dabei die goldene „Alleinflugregel“: Einmal umdrehen und schauen ob hinter dir auch wirklich kein Lehrer sitzt. Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, alleine im Flugzeug zu sitzen und es vollkommen selbst zu steuern. Ich staune immer wieder, wie leicht das Flugzeug ist und wie leichtgängig es sich steuern lässt. Ich bin kurz vor der Landebahnschwelle, Zeit für den Lande-Check, welchen ich schon auswendig kenne, da ich ihn schon gefühlt hunderte Male zuvor abarbeitet habe. Den Wind nochmal überdenken, auf Flugverkehr sowohl am Boden als auch in der Luft Ausschau halten, Fahrt erhöhen und keine Positionsmeldung abgeben…sagte mein Fluglehrer, damit ich mich zu 100 Prozent auf das Fliegen konzentrieren kann. Ich drehe in den Queranflug, richte auf und entriegele die Bremsklappen um ca. 100 m an der Endanflugkurve zu erreichen. Im Endanflug, kurz vor dem Aufsetzen, entriegele ich nochmal die Klappen um die Sinkgeschwindigkeit zu erhöhen. Der Boden kommt immer näher und die Konzentration steigt. Jetzt heißt es „Fahrt halten!“ und auf die Landebahn visieren. „Nicht zu viel Querlage!“, höre ich den Ausbildungsleiter im meinem Kopf. Ich beginne abzufangen, indem ich die Flugzeugnase leicht anhebe, aber bloss nicht zu viel ziehen, sonst steigt die Maschine aufgrund des leichten Gewichts wieder vom Boden weg. Ich ziehe vorsichtig am Steuerknüppel und das Flugzeug schwebt und schwebt, als würde es nicht aufhören wollen zu fliegen, was ich irgendwie verstehen kann. Ich fahre die Bremsklappen vollständig heraus und die ASK13 setzt sich sanft auf die Grassbahn. Ein erleichterndes und tolles Gefühl zugleich. Aber der Flug ist noch nicht beendet – ich betätige die Radbremse und halte die Querlage. Beim ausrollen fahre ich blöderweise genau durch eine frisch lackierte Landebahnmarkierung durch, welche ich zwei Tage vorher bei 30 grad frisch angestrichen habe…naja, was soll’s, ist nur halb so schlimm. Der Flieger wird langsamer und bleibt schließlich stehen. Im Funk höre ich meinen Lehrer sagen: „Sehr schön“! Daraufhin folgt das Kribbeln im Bauch – dieses Gefühl, ein Flugzeug gerade selbst gestartet und gelandet zu haben, ist einfach wunderbar und unvergesslich. Ich steige aus dem Flugzeug aus und schon sehe ich meinen zweiten Lehrer mit dem Bulli auf mich zufahren. Er steigt aus, lobt mich und und hilft mir den Flieger wieder zum Startpunkt zu ziehen. Ich habe es geschafft – den Sprung aus dem Nest, jedoch bin ich noch nicht fertig – schließlich stehen mir gleich noch zwei weitere Alleinflüge bevor. Danach steige ich aus dem Flugzeug aus und sehe fünf Menschen auf mich zulaufen…normalerweise sind es um die 15 Leute, doch wir sind einfach so wenige. Nachdem mir alle Anwesenden, inklusive meine beiden Lehrer, gratuliert haben, bekomme ich einen wunderschönen Blumenstrauß aus Brennesseln, Sträuchern, Disteln und weiteren Pflanzen. Jetzt steht mir noch das „Highlight“ des Alleinfluges, zumindest für weitere Anwesende, das „Arschversohlen“ bevor. Ich bekomme von jedem eine auf den Hintern verpasst – zu meinem Glück sind heute nicht so viele da, deshalb tut es auch nicht so weh.
Nachdem alle mir meinen Hintern verdroschen haben, endet der Flugbetrieb allmählich – es hat ja keinen Sinn mit sechs Mann in dieser Hitze weiterzufliegen…
Dinge enden allerdings nicht hier. Ich habe lediglich einen ersten Abschnitt absolviert, wobei diese verrückte, abenteuerliche und wunderschöne Reise noch lange nicht vorbei ist. Jeder muss seinen eigenen Weg finden – was er kann und was er nicht kann – und ich habe mich bereits entschieden. Meine Reise geht weiter mit einem spannenden Wechsel auf einen Einsitzer, die KA8.
Valentin